Einzig der geflügelte Markuslöwe symbolisiert die Serenissima Repubblica und ist daher in der Stadt präsent, richtig?
Nicht ganz richtig. Venedig wurde tatsächlich auch in Form einer jungen, gebärfähigen (ja, das ist ganz wichtig und ihr werdet gleich sehen wieso) Frau dargestellt.
Ein schönes Beispiel bietet hier die Skulpturengruppe des Giusto Le Court*, die ihr in der Basilica di Santa Maria della Salute findet, genau mit mir an.
Im Zentrum der Skulpturengruppe seht ihr eine junge Frau mit erhobenem Haupt und einem Kind. Ein Engelchen stützt es. Diese Frau ist die Jungfrau Maria, ein Symbol für die Fruchtbarkeit (!). Vor Maria kniet links eine junge Frau (in gebärfähigem Alter), die die Jungfrau Maria flehend ansieht und sich ihre linke Hand aufs Herz legt. Sie bittet Maria um etwas. Was könnte diese Bitte sein? Da der Künstler Maria in der Blüte ihrer Jahre mit einem kleinen Jesus-Kind darstellt, bittet diese junge Frau wahrscheinlich darum ein Kind zu bekommen.
Doch wer ist diese junge Frau?
Venedig selbst! Während „normalerweise“ der Markuslöwen die Serenissima symbolisch darstellt (seht Mal genau hin, der Heilige Markus steht links vom Altar mit dem Löwen), hat sich der Staat in dieser Skulptur dazu entschieden sich selbst als Frau darzustellen.
Wieso kommt es langsam zu diesem Wandel in der Symbolik?
Einerseits wird der Gründungsmythos der Stadt selbst aufgegriffen, denn Venedig entstand laut Legende am 25. März (der Tag der Verkündung). Wir finden die Assoziation Venedig – Maria also bereits im Gründungsmythos.
Einen weiteren Grund finden wir in dieser Skulpturengruppe selbst: Seht euch die rechte Figur gut an. Es ist eine alte Frau, die panisch vor der Jungfrau flieht. Ein Engel mit einer Fackel verjagt sie. Diese Frau ist der Tod, die Pestepidemie von 1630. Vergesst nicht, dass diese Kirche aufgrund dieser letzten Pestepidemie in Venedig gebaut wurde. Die Krankheit dezimierte die Bevölkerung um ein Vielfaches. 30%, ca 46.000 Menschen, waren gestorben. Ein demographisches und wirtschaftliches Desaster, denn der Staat lebte von seiner zahlreichen Bevölkerung und deren Steuern!
Wie löste man dieser Problematik?
Früher setzte die Stadt auf Immigration von Fachkräften, die nicht nur dazu beitrugen die Einwohneranzahl in die Höhe zu treiben, sondern auch ihr Fachwissen für den wirtschaftlichen Aufschwung einsetzten. Nun jedoch, setzte der Staat auf seine Frauen, auf deren Fruchtbarkeit und darauf die Sterblichkeitsrate bei den Neugeborenen so niedrig wie möglich zu halten.
Die Stadt begann ihre Hebammen fachlich auszubilden und auf den neuesten Stand zu bringen, verbot Taufen in den kalten Wintermonaten, … und erhob die Frau selbst zum Symbol des Lebens. Ausdruck dieses Triumpfs der Weiblichkeit und der Hoffnung ist die Basilika der Salute und ihre weibliche Dekoration innen und außen:
- die Skulpur des Giusto le Court
- das Altarbild der Madonna Mesopanditissa (hier seit dem 21. November 1670)
- die Seitenaltäre der Basilika, die der Jungfrau Maria geweiht sind
- die Außendekoration der Basilika, die mit diversen weiblichen (und nackten) Figuren aufwartet
*eigentlich Josse de Corte (aus Flandern)