Sie war ganz alleine. Theseus, ihr geliebter Theseus, hatte sie auf dieser Insel einfach zurück gelassen. Die Gefahren, die sie auf sich genommen hatte um ihrem Geliebten den Ausweg aus dem gefürchteten Labyrinth ihres Vaters zu ermöglichen, der Tod ihres Halbbruders, des Minotaurus, die Flucht aus ihrer Heimat, … Wofür all diese Strapazen? Ariadne schlief betrübt und mit verweinten Augen ein. Ihr letzter Gedanke galt ihrem untreuen Geliebten.
Ariadne spürte eine Hand, die sanft über ihr Gesicht und ihre Haare strich. Ihr erster Gedanke wanderte zu Theseus. Doch dann erinnerte sie sich daran, dass er sie auf der Insel Naxos zurück gelassen hatte. Ariadne öffnete ihre Augen und erblickte einen wunderschönen jungen Mann, der sie liebevoll betrachtete.
Der Mythos der sich um Ariadnes Leben spinnt, erzählt, dass dieser junge Mann niemand anderes als der Gott Dionysos* war. Dionysos hatte sich auf den ersten Blick in Ariadne verliebt und sie zu seiner Frau erwählt. Das edelsteinbesetzte Diadem das die Prinzessin Ariadne** trug, schleuderte er selbst gen Himmel, wo wir es noch heute als Sternbild der „Nördlichen Krone“ betrachten können.
Jacopo Tintoretto wählte die Heirat Ariadnes und Dionysos als Thema für eines seiner Meisterwerke, das sich heute im Dogenpalast (Anticollegio) befindet.
Sehen wir uns das Gemälde doch genauer an
Links sehen wir eine wunderschöne, blonde, junge Frau, die auf einem Thron zu sitzen scheint. Dieser wird von wertvollen Stoffen verdeckt. Sie ist nackt: Nur ein wertvolles blaues Tuch bedeckt ihre Scham.
Eine zweite wunderschöne blonde Frau – deren Gesicht wir jedoch nicht sehen, da dieses abgewandt ist – schwebt rechts von Ariadne in der Luft und hält eine goldene Sternenkrone über ihr Haupt.
Rechts sehen wir einen jungen Mann, ebenfalls nackt, der aus dem Meer entsteigt und dessen Haupt und Hüfte von Weinblättern bedeckt werden. Die Weintraube, die an seiner Hüfte hängt, ist ein Indiz Tintorettos, dass es sich bei diesem jungen Mann um Dionysos, den Gott des Weines, handelt. In seiner linken Hand hält er zwischen Daumen und Zeigefingern einen goldenen Ring.
Tintoretto zeigt uns in seinem Gemälde den exakten Moment in welchem Dionysos und Ariadne sich vermählen.
Doch warum wählte Tintoretto ausgerechnet dieses Thema für ein Gemälde des politischen Zentrums, des Dogenpalastes?
Tintoretto feiert in diesem Gemälde den Mythos Venedigs, eines mächtigen, christlichen Staates, der mit Weisheit geführt wird. Laut Carlo Ridolfi (17. Jahrhundert) wollte Tintoretto uns folgendes mitteilen:
Das junge Mädchen, Ariadne, symbolisiert Venedig, die Königin der Meere, die am Meeresstrand geboren wird. Dionysos entsteigt den Fluten des Meeres mit dem Ehering, der ihre Verbindung darstellt und Ariadne unsterblich macht. Ihre Verbindung wird von Aphrodite/Venus selbst gesegnet, die Ariadne/Venedig mit der Krone der Freiheit krönt.
Die Sternenkrone, die also selbst Teil des Sternengewölbes wird, erhebt Venedig in den Rang der Unsterblichkeit. Der goldene Ring bezieht sich auf das jährliche Fest des „Sposalizio del Mare“ (Meeresheirat), das anlässlich der Christi Himmelfahrt im Mai in Venedig gefeiert wird. (Mehr zum Fest findet ihr in diesem Artikel.)
Das Gemälde selbst ist Teil einer Serie von vier allegorischen Gemälden, die Tintoretto für die Serenissima ausführte und die sich heute im Anticollegio des Dogenpalastes befinden:
- Nozze di Bacco e Arianna
- Minerva protegge Pace e Abbondanza da Marte
- La fucina di Vulcano
- Mercurio e le tre Grazie
*Bacchus/Gott des Weines
**Tochter des Königs Minos