Es war ein lauer Sommerabend. Ein kühler Nordwind vertrieb die dichte Schwüle des Tages. Die Stille wurde durchbrochen durch die wunderschöne Stimme des Troubadour Tancredi, der ein Lied für seine Herzensdame Maria anstimmte, die ihm verliebt lauschte. Die beiden hatten zaghaft begonnen Zukunftspläne zu schmieden, doch ihr größtes Hindernis war die bescheidene Herkunft Tancredis, denn Maria war niemand geringeres als die Tochter des Dogen Angelo Partecipazio.
Als Tancredis Stimme verstummte, nahm Maria seine Hand, sah ihm tief in die Augen und sagte ihm mit flüsternder Stimme: „Ich habe einen Weg gefunden um unsere Heirat bei meinem Vater durchzusetzen.“ Tancredi lauschte dem Plan Marias und stimmte ihr frohen, jedoch auch schweren Herzens zu: Karl der Große marschierte nach Spanien um dort gegen die Mauren zu kämpfen. Tancredi sollte sich ihm anschließen und durch seine Taten und seinen Mut dem Dogen beweisen, dass er es wert wär seine Tochter zu heiraten.
Tancredis unermessliche Liebe zu Maria beflügelte ihn regelrecht
und sein Mut brachte ihm Ruhm und Ehre in ganz Europa ein. Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind in Venedig sprach von Tancredi und seinen Heldentaten. Als nun der Frankenritter Orlando*, in dessen Gefolge Tancredi kämpfte, nach den erfolgreich gewonnenen Schlachten am 25. April** nach Venedig kam, ging Marias Herz über vor Freude ihren geliebten Tancredi bald wieder in die Arme schließen zu können.
Tancredis Nachricht
Orlando ging auf Maria zu, kniete sich vor ihr hin und überreichte ihr eine rote Rose: Tancredi hatte mutig und tapfer an vorderster Front gekämpft, als er vom Schwert eines Mauren tödlich verletzt wurde und blutend über einem weißen Rosenbusch niedergesunken war. Mit seinem letzten Atemzug pflückte er eine der Rosen, die er mit seinem Blut getränkt hatte und gab sie seinem teuren Kampfgefährten Orlando mit der Bitte diese Blume seiner geliebten Maria zu überbringen.
Maria nahm die Rose ohne ein weiteres Wort entgegen und zog sich in ihre Gemächer zurück in die sie sich den ganzen Tag und die ganze Nacht einschloss. Am nächsten Tag, als der Doge besorgt um das gebrochene Herz seiner Tochter ihre Gemächer aufsuchte, fand Angelo Partecipazio seine Tochter in einem Sessel am Fenster sitzen. Die Rose Tancredis hielt sie an ihre Brust gedrückt. Sie war tot.
Venezianischer Valentinstag
Seit jenem schicksalhaften Tag schenken die venezianischen Männer ihrer Herzensdame am 25. April eine Rose. Diese ist heute als „Bocolo (IT bocciolo) di San Marco“ („Blütenknospe des Heiligen Markus) bekannt.
*Roland (aus der Chanson de Roland)
**In anderen Versionen am 24. April/Der 25. April ist der Festtag des Heiligen Markus zu dessen Anlass ein Umzug am Markusplatz organisiert wurde.