Willkommen im ersten Ghetto Europas und der ganzen Welt. Lasst euren Blick über den Campo del Ghetto Nuovo schweifen; vielleicht entdeckt der eine oder andere von euch die hinter den hohen Fassaden versteckten Schätze, die von außen kaum zu erkennen sind: die Synagogen.
Doch aus welchem Grund kam es überhaupt zur Entstehung dieser Enklave in der Stadt Venedig? Um dies zu verstehen ist es notwendig die geschichtlichen Hintergründe zu kennen: Die ersten Juden kamen zu Beginn des 11. Jahrhunderts nach Venedig und erreichten bald, trotz der sich abwechselnden Wohnverbote und –erlaubnisse, eine stattliche Anzahl.
Geschichte
Als Ferdinand von Aragon und Isabella von Kastilien im Jahr 1492 die jüdischen Einwohner vor die Wahl stellten entweder zum Christentum zu konvertieren oder die iberische Halbinsel zu verlassen, ließen sich die Flüchtlinge, bis zum französisch-italienischen Krieg im 16. Jahrhundert, auf dem venezianischen Festland nieder. Als der Krieg schließlich auch vor den Pforten der Lagunenstadt Einzug hielt, entschieden sich die Juden in die Serenissima zu flüchten, die schließlich von Wasser umgeben und daher vor feindlichen Attacken geschützt lag: So enstand das erste jüdische Ghetto.
Diese Idee war sicherlich nichts Neues: In Konstantinopel lebten die genuesischen Christen isoliert und überwacht in dem Viertel Galata, ebenso wie in Alexandrien (Ägypten), wo ebenfalls ein christliches Viertel existierte, und im selben Venedig wurden im 13. Jahrhundert die „deutschen“ Händler (d.h. all jene aus Mitteleuropa inklusive Ungarn und Böhmen) in den Nachtstunden in dem Fondaco dei Tedeschi „eingesperrt“.
Das venezianische Ghetto
Das Ghetto wurde also mit der Erlassung des Dekrets vom 29. März 1516 in Venedig, im Kirchenbezirk San Girolamo (Cannaregio), rechtskräftig eingerichtet. Diese Insel, umgeben von einem Kanal, war nur durch zwei Brücken zugänglich, was den Venezianern – neben den christlichen Wächtern, die auf Booten die umliegenden Kanäle durchfuhren – ermöglichte das Ghetto in den Nachtstunden zu schließen und nächtliche Ausgänge zu unterbinden. Dasselbe Dekret aus dem Jahr 1516 legte fest, dass die Juden ein Identifikationsmerkmal zu tragen hatten und zwang diese dazu Pfandhäuser (z.B. den „Banco Rosso“ – heute ein Museum; Eintritt €2), zu von der Serenissima festgelegten Abgabenhöhen, zu führen. Im Gegenzug wurde den Juden Kultusfreiheit und Schutz im Kriegsfall garantiert.
Platzmangel
Seht euch doch mal genauer um. Ist euch aufgefallen, dass die palazzi hier weitaus höher als üblich sind? Dies liegt daran, dass der Platz im Ghetto sehr beschränkt war, weshalb – als die Anzahl der hebräischen Bewohner die 5000er Marke erreichte – dieselben begannen den bereits vorhandenen Gebäuden weitere Stockwerke hinzuzufügen. Aus diesem Grund sind die Häuser dieser Zone bis zu sieben/achtstöckig, im Gegensatz zu den drei/vierstöckigen venezianischen Häusern.